2008-November: Die Welt
Wenn der Seelenbalast blind machtDer Film von Regisseur Markus Imboden und Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt ist ein anderthalbstündiges soghaftes Vergnügen - sei es nun wegen seiner folgerichtigen, unterschwellig humorvollen Erzählweise, wegen seiner präzise und pointiert inszenierten Dialoge oder wegen seiner starken Charaktere beziehungsweise deren erstklassiger Besetzung.
Im Zentrum stehen zwei Polizisten, die einander misstrauen. Der Neue, Wendt, überlegt, warum der Alte, Dudek, ihm unbedingt helfen will und dafür sogar auf den Neuseeland-Trip verzichtet. Dudek fragt sich, wieso Wendt ihn so ungern dabei hat. Bald ermitteln beide heimlich gegeneinander. Dudek findet heraus, dass Wendt damals Kontakt zum späteren Mordopfer Tim hatte. Außerdem soll er wegen pädophiler Neigungen aufgefallen sein. Wendt erfährt, dass Dudek mit Tims Mutter liiert war. Er könnte durchaus der Vater des toten Jungen sein und sich an dessen mutmaßlichem Mörder gerächt haben. Michael Mendl überzeugt als alter Hase, der zwar gelassen und besonnen wirkt, aber diesen alten Fall mit beinahe pathologischer Besessenheit verfolgt, und das trotz seines Gesundheitszustands: Dudek hat Krebs im Endstadium. Gegen die Schmerzen spritzt er sich Morphium. Frank Giering porträtiert Dudeks Nachfolger als Krampfbündel, das anscheinend am liebsten vor sich selbst davonlaufen würde. Diese Figur scheint ständig zu schwitzen. Will Wendt sich nicht vor dem aufdringlichen Dudek blamieren? Ist es die Furcht, dass seinem eigenen Sohn dasselbe passieren könnte wie damals Tim? Die Polizeiwache wird komplettiert durch Anna Maria Mühe. Sie spielt eine von der Vergangenheit unbeschwerte, heitere Polizistin, eine Unschuld vom Lande zwischen zwei Männern mit viel Seelenballast. Dudek und Wendt verdächtigen sich nicht nur gegenseitig. Dank einer Blutspur werden sie auf die eineiigen, aber grundverschiedenen Zwillingsbrüder Gerlach aufmerksam. Die genießen es, die Beamten vorzuführen und sich gegenseitig Alibis zu geben. Der notorisch grandiose Devid Striesow spielt sich in dieser Doppelrolle geradezu selbst an die Wand. Dass hier einige falsche Fährten gelegt werden, lässt die Geschichte keine Sekunde konstruiert erscheinen. Ihr Showdown erscheint als jäher Gewaltausbruch. Das wirkt fast so lakonisch wie bei den Coen-Brüdern. Die Polizei hat am Ende so gut wie gar nichts mehr im Griff, und das Schicksal macht tabula rasa. Dieser Film kennt keinen Gewinner. Mal abgesehen vom Zuschauer.
2008-November: tittelbach.tv
von Rainer Tittelbach:
Eine Leiche im Beton, ein Kinderschänder, zwei eineiige Zwillinge, eine kichernde Polizistin und zwei Kommissare, die sich gegenseitig verdächtigen. Menschen im Belauerungszustand sind das Herzstück dieses außergewöhnlich guten Provinzkrimis, der so manches Muster des Genres lakonisch zersetzt. Fazit: ein vielschichtiges Buch, eine bis ins kleinste Detail stimmige Regie, gespenstisch sicher agierende Schauspieler, eine beklemmende Atmosphäre, eine ungewöhnliche Musik. „Der Tote in der Mauer“ ist intelligente Fernsehunterhaltung.Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/fernsehfilm/artikel-1592.html
2008-11-18: Focus.de
von Carin Pawlak:
Küchenschaben, Kühe, KinderschänderEntschleunigtes Entertainment: Menschen spielen Wildwest im hohen Norden. So schön kann ein erdschwerer Krimi sein.
Nach 46 Jahren ist Schluss. Kaum hat die Kapelle der Polizei in einem Dorf in Norddeutschland zu „La Cucaracha“ angeblasen, stört der Nachfolger des fast pensionierten Kommissars. Bevor die Küchenschabe weitertänzeln kann, kommt ein Bauarbeiter aufs Revier. Und mit ihm der erste Traumdialog. „Wir haben einen Fuß gefunden“, sagt er knapp. „Einen Fuß?“, fragen die Polizisten. „Na ja, vielleicht ist da noch mehr dran“, gibt der Finder lakonisch zurück. Die junge und blonde und fröhliche Polizistin muss kichern. Sie gickst ziemlich viel. Aber nicht sehr lange. Statt der versprochenen Nachbarschaftsstreitigkeiten und Raddiebstähle für den Neuen gibt es einen Mord. Der führt 16 Jahre in die Vergangenheit. Und es dauert nur Minuten, um zu spüren, dass man hier einen richtig guten Film zu sehen bekommt.
In diesem Stück Land, wo der Himmel schwer hängt und der Boden darunter erdschwer ist, rollt Hagen Dudek einen Fall auf, an dem das ganze Dorf seit Jahren zu leiden hat. Der, so wie der Tote in die Mauer, in die Seele des Ortes zementiert scheint. Hat der Mauermann den kleinen Tim ermordet? Ihn sexuell missbraucht? Dudek, auf dem Weg in die Pension und dann weiter nach Neuseeland, greift noch mal zum Pistolenhalfter. Und der Neue, ein Klaus Wendt, kommt aus Hamburg in seine Heimat zurück. Korrekt, ambitioniert. Ein stiller Streber, der an sich schon misstrauisch macht. Sie sind einander in herzlicher Abneigung zugetan. Der eine sichert sich Haare aus dem Bad des anderen, weil er ihn für den heimlichen Vater des getöteten Jungen hält. Der andere lässt das Rotweinglas untersuchen, weil ihn der Yin-Yang-Anhänger des ehemaligen Jugend-Fußballtrainers misstrauisch macht, der auch in den Ermittlungsakten auftaucht.
Wohnst du noch?
Die Polizeiarbeit findet in einem Einfamilienhaus statt. Wohnzimmer-Gemütlichkeit in Amtsstuben, Backstein-Idylle mit Vorgarten. Ein Heimatkrimi, der den Zuschauer schnell in eine beklemmende Atmosphäre zieht, weil das Drehbuch von Holger Karsten Schmidt viele Schicksalssplitter ins Spiel bringt. Die Krebskrankheit von Dudek, seine frühere Affäre mit der Mutter des getöteten Jungen. All das heruntergebrochen auf schnurrige Beschreibungen wie: Die Nachbarin von der Nichte des Schornsteinfegers, dessen Schwester den Arzt des Kommissars kennt. Man spricht sich aus neben Kuhweiden. Und wirft sich am Friedhof Sätze an den Kopf wie diesen: „Sie meinen, Ihre Frau bekommt Ihre Besuche noch mit?“ Da sei dem Autor auch verziehen, dass Kommissar Wendt von „Sicherheitsverwahrung“ statt „Sicherungsverwahrung“ redet.
Zuschauer baumelt am Strick
Regisseur Markus Imboden, einer der allerbesten Filmkönner, zieht alle Fäden geschickt zusammen, lässt den Zuschauer kurz an einem Lösungsstrickchen baumeln, um ihn gleich wieder fallen zu lassen und ihn gekonnt auf eine neue Fährte zu verführen. Und zu verschnüren. Wilder Westen im hohen Norden. Gespielt von einem Michael Mendl als todkranker Polizist, dessen Sensoren auf der besten Polizeischule der Welt nicht gelernt sind. Einem undurchsichtigen Klaus Wendt, den Frank Giering exakt auf den Punkt darstellt – ein Biedermann als Mörder eines Kindes. Dem großartigen Devid Striesow, der die eineiigen Zwillingsbrüder an die gegensätzlichsten Ränder bringt. Und: Anna Maria Mühe, deren große Vaterfigur Ulrich Mühe sich in ihrem Gesicht spiegelt, die aber dennoch ihr eigenes Ausnahmetalent ist. Selten hat eine Schauspielerin mit nur einem einzigen Blick vereinnahmt.
Fernsehen ist viel besser als sein Ruf. Man muss es nur die richtigen Leute machen lassen.
2008-November: TVspielfilm.de
Packender Psychokrimi aus der ProvinzIn einem norddeutschen Dorf reißen alte Wunden auf. Düster-beklemmender TV-Krimi mit großartiger Besetzung.
Er solle die drei Tage bis zur Pensionierung daheim bleiben, schlägt Nachfolger Klaus Wendt (Frank Giering, † 2010) forsch vor. Der schwer krebskranke Kommissar Hagen Dudek (Michael Mendl) lehnt ab. Schließlich wurde gerade die einzementierte Leiche jenes Mannes gefunden, den er vor 16 Jahren des Kindermords verdächtigt hatte. Grund genug, den Fall neu aufzurollen. Dabei geraten die Zwillingsbrüder Ralf und Frank Gerlach (Doppelrolle für Devid Striesow) unter Verdacht. Obendrein beginnen die zwei Ermittler, sich gegenseitig zu misstrauen… Der Film von Markus Imboden ("Mörder auf Amrum") führt die Zuschauer mehr als einmal geschickt in die Irre. Ein kühn konstruierter, atmosphärisch und extrem fesselnd inszenierter Thriller zwischen Dorfkrimi und Psychoduell - mit Anna Maria Mühe als junger Polizistin zwischen allen Fronten. Gehört zur Kollektion "Mörderischer Norden" "Der Mörder ist unter uns", "Mörderische Erpressung", "Der Tote in der Mauer", "Mörder auf Amrum" und "Mörderisches Wespennest".
2008-11-17: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 269
von Heike Hupertz:
Und immer fährt ein Traktor durchs Bild- Alter Platzhirsch, neuer Platzhirsch: Der ZDF-Dorfkrimi hat Sinn für Details... mit immer demselben Hund und immer demselben Traktor, der von Zeit zu Zeit durchs Bild fährt, zeigt Imboden als dramatische Bühne, auf der sich der Zweikampf zwischen dem alten und dem neuen Kommissar abspielt. .... Ob etwas dran ist an den Verdächtigungen oder ob es sich dabei um ortsübliche Revierkämpfe und geschlechtsbedingtes Platzhirschgebaren handelt, das hält "Der Tote in der Mauer" lange und raffiniert in der Schwebe. ... auf dem schweren Ackerboden gedeiht in diesem Film vor allem der Zweifel prächtig. Kurz vor Schluss wartet "Der Tote in der Mauer" mit mehreren geradezu eleganten Wendungen auf, bevor er den Mikrokosmos seiner Figuren fast komplett ausradiert - ein durchaus nicht unblutiges Ende.
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2008-November: Der Tagesspiegel
von Thilo Wydra:
Kommissare im Duell„Der Tote in der Mauer“, von Holger Karsten Schmidt geschrieben und von Markus Imboden in Szene gesetzt, ist ein dichtes Drama der Beklemmung. Niemand traut niemandem, das ist nicht nur dramaturgisch stimmig verfasst, sondern auch bestechend inszeniert. Die einzige Person, die überhaupt vertrauenswürdig ist, das ist die junge Polizistin Westermann, die sich zwischen allen Fronten und den beiden Kommissaren sieht. Diese innere Zerrissenheit drückt sich nicht nur in der von Anna Maria Mühe berührend gespielten Polizistin aus, sie scheint sich durch das ganze Personal des Films zu ziehen. Die subversive Atmosphäre des nicht Greifbaren, kontrastierend mit der naturalistischen Wald- und Wiesen-Landschaft, vermag sogar einen leichten Gruselschauer zu erzeugen. Ein intensiver Psychothriller, der Biografien verletzter Menschen auserzählt. Das ist selten genug