2003: TVspielfilm.de
Leises Drama, das hängen bleibtKlingt wie ein Krimi: Die sensible Regie, ein tiefgängiges Drehbuch, zurückhaltendes Spiel und sanfter Humor verfeinern ihn zum Porträt einer Frau auf der Suche nach Trost.
2003-10-10: tittelbach.tv
von Rainer Tittelbach Seit acht Jahren ist Clara nicht mehr sie selbst. Damals ist ihre Tochter spurlos verschwunden. Bisweilen reimt sie sich abwegige Theorien über das Schicksal ihrer Kleinen zusammen – jetzt glaubt sie sie in Schweden. 90 Minuten sehen wir einer Frau bei ihrer Trauerarbeit zu. Drehbuchautor Fabian Thaesler hat nichts geglättet: keine neue Liebe, keine Bettszene, keine künstliche Spannung - jede Szene hat ihre eigene Wahrheit. Und der Langmut der Heldin entspricht die Langsamkeit der Inszenierung. Preiswürdig: Martina Gedeck!Seit acht Jahren ist Clara nicht mehr sie selbst. Damals ist ihre Tochter verschwunden. Die Mutter hat im Gegensatz zu ihrem Mann die Hoffnung nie aufgegeben, sie zu finden. Bisweilen reimt sie sich abwegige Theorien über das Schicksal ihrer Kleinen zusammen, hinter denen sich die Unfähigkeit versteckt, das Liebste in ihrem Leben loszulassen.
So auch jetzt wieder. Nach einem seelischen Zusammenbruch wird Clara in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort fällt ihr eine Illustrierte in die Hände, in der sie ein Foto entdeckt mit einem Mädchen, das aussieht wie ihre Lilly. “Ich tu’, was ich tun muss”, sagt sie zu ihrem verständnisvollen, aber ratlosen Mann - und büchst aus. In Richtung Schweden. Denn der Zeitungsbericht mit dem Foto beschäftigte sich mit einer schwedischen Schiffskatastrophe der letzten Jahre. Aus der fixen Idee entsteht eine aussichtslose Suche in einem fremden Land. Doch Clara, die bald in einem dänischen Drogenfahnder Unterstützung findet, hält sich an jeder neuen Information wie an einem Strohhalm fest.
“Ins Leben zurück” ist ein schwieriger Film. Eine typische Herbst-Geschichte. Ein Film, der sein Thema ernst nimmt und es dem Zuschauer nicht leicht machen will. 90 Minuten sehen wir einer Frau bei ihrer ganz persönlichen Trauerarbeit zu. Autor Fabian Thaesler hat nichts dramaturgisch geglättet: keine neue Liebe, keine Bettszene, keine künstliche Spannung - jede Szene hat ihre eigene Wahrheit. Und der Langmut der Heldin entspricht die Langsamkeit der Inszenierung. Schweden, das ist der Ort, den Clara bisher noch nicht gefunden hatte, ein Ort, an dem sie Abschied nehmen kann. Reisebekanntschaft Eric ist der Mann, der ihr dabei hilft.
Die Reise ins ferne Schweden ist aber auch eine Reise ins eigene Innere der Heldin, ins Verdrängte. Martina Gedeck spielt ihre Clara ohne zu psychologisieren. Sie schaut, sie handelt, sie fühlt - ohne ein Wort, ohne eine Erklärung zu viel. Schweden verpflichtet. Sparsam zeichnet sie ihre Frau am Rande des Zusammenbruchs, gibt ihr Schwäche und Stärke zugleich. Der zwischen strenger Bildkomposition (Kamera: Jo Heim) und knappen Dialogen austarierte Film von Markus Imboden besticht vor allem durch die Radikalität seiner Erzählung: die Heldin als Nabel der Welt. Ihre Wahrnehmung, ihre Empfindungen bestimmen alles. Da ist es nur konsequent, dass die schwedischen Passagen nicht untertitelt wurden, um so zur weiteren Irritation der verzweifelten Mutter beizutragen.
Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/fernsehfilm/artikel-1090.html
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2003-10-10: Frankfurter Allgemeine Zeitung
von Hans-Dieter Seidl
Jeden Tag, jede Stunde und Minute bei ihr - Wem die Vergangenheit geraubt wird, der hat nur den Weg zum Ziel: "Ins Leben zurück" (Arte) Von Zeit zu Zeit, sagt Martina Gedeck, spiele sie gern einmal eine Rolle mit komödiantischer Grundierung. Wie vergnüglich das ausgehen kann, war am Dienstag bei Sat.1 zu besichtigen. Auf Arte, weil es der Programmzufall so will, gibt sie nun nur drei Tage später wieder einer zutiefst verstörten Seele Gesicht und Stimme, und sie tut das mit jenem insistierenden Ernst, der noch das schönste, sekundenkurz aufblühende Lächeln mit Wehmut unterfüttert. Diese Clara, um die sich der Fernsehfilm "Ins Leben zurück" von Markus Imboden (Regie) und Fabian Thaesler (Buch) ausschließlich dreht, wird mit einem Einschnitt in ihrem Leben nicht fertig, dem psychoanalytischer Beistand so wenig beikommt wie die unbeholfene Taktik des Ehemanns. Vor acht Jahren ist die damals halbwüchsige Tochter des Ehepaars spurlos verschwunden, und alle Bemühungen, sich auf Lillys Fährte zu setzen, schlugen fehl. Der vollkommen unbewältigte Verlust hat aus der ehedem lebenslustigen Clara ein labiles Wesen werden lassen, verschlossen bis zur Kränkung des Gegenübers und aus womöglich nichtigem Anlaß weit über die Grenzen des sogenannten Normalen hinaus zu erschüttern. Bis Clara in einer alten Illustrierten auf einen großen Farbbericht vom Unglück des Fährschiffs stößt, das hier nicht "Estonia", sondern "Andrea Baltica" heißt, und auf einem der Bilder neben einer fremden jungen Frau deutlich ihre Tochter zu erkennen glaubt. Von einem Moment zum anderen hat Claras Handeln wieder ein entschiedenes Ziel: Sie muß in Schweden die Eltern der beim Schiffsunglück ums Leben gekommenen jungen Frau aufspüren, um endlich mit mehr Grund als nur einer Wahnidee nach Lillys Verbleib zu forschen. Buch und Regie halten sich nicht lange auf, die Vorgeschichte zu skizzieren, und auch Claras existentielle Not, die verzehrende Hingabe an die Verschollene, wird rasch in einem Schlüsselsatz gefaßt: "Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, die sie nicht bei mir ist, bin ich bei ihr." Auch das brüske Zurückweisen der klinischen Hilfe braucht nicht viele Worte: "Sie wollen mich heilen?" fragt Clara. "Wovon?" Alle Zeit der Welt, scheinbar, nimmt sich der Fernsehfilm dagegen für Claras Obsession, der verschwundenen Tochter in Schweden habhaft zu werden. Wenn einem die Vergangenheit genommen wird, dann tut man eben Dinge - dieses Erklärungsmuster der Psychoanalyse reichern Markus Imboden und Fabian Thaesler, aber vor allem die Schauspielerin Martina Gedeck mit einer ganz eigenen Poesie an. Wieder einmal ist der Weg das Ziel, wieder einmal dient eine von der zivilisatorischen Landnahme noch nicht versehrte Natur dazu, die Seele allmählich zu glätten. Doch die Bilder, die davon künden, daß Clara auf dem Weg von Göteborg weit hinauf ins Unwegsame der Schären auch einen Ort finden könnte, endlich Abschied zu nehmen von der Tochter - diese melodisch eingebundenen, aber niemals penetrant in Musik verpackten Bilder meiden jeden bloß heuchlerischen Ton der Versöhnung. So unterschlagen sie auch nicht, wie unempfindlich die verletzte Seele Clara dafür geworden ist, andere bei ihrer verbissenen Suche verletzen zu können. Und sie finden Zeit, noch eine zweite Ebene aufzutun, auf der sich gleichsam wie nebenbei eine wunderbar zurückhaltende Liebesgeschichte anspinnt. Ohne die Hilfe des Polizeikommissars (Ulrich Thomsen), der Clara wie ein Schutzengel nicht mehr von der Seite weicht, wäre sie im fremden Land allzu rasch gestrandet. Ein einziger scheuer Kuß ist den beiden zum Abschied vergönnt. Und sie werden die Glasscheibe, die ihre Lippen trennt, wohl gar nicht gespürt haben.