2003-Oktober: kino.de
von Tilmann P. Gangloff:
Dieser Film ist schon allein deshalb sympathisch, weil kein einziges Mal der Begriff „Profiler“ fällt. Genau das aber ist unter anderem die Aufgabe des Kriminalpsychologen Martin Bach: Er erstellt Täterprofile. In seinem aktuellen Fall weiß er relativ rasch: Der Mörder muss dreißig bis vierzig Jahre alt und ein Einheimischer sein. Diese Erkenntnis kostet ihn vier Autoreifen: In dem Dorf, unter dessen Bewohnern Bach einen mehrfachen Frauenmörder vermutet, geht man davon aus, dass der gesuchte Serientäter längst hinter Gittern sitzt. „Der Mörder ist unter uns“ ist ein raffinierter Krimi: kein Blut, keine plakativ ausgestellten Morde, keine Schießerei; und trotzdem packend. Selbst die Tatsache, dass dem versierten Publikum schon früh klar sein müsste, wer der Mörder ist, tut der Spannung keinen Abbruch.Das liegt an einem offenbar guten Drehbuch (Holger Karsten Schmidt), einer sorgfältigen Inszenierung (Markus Imboden), die sich völlig der Geschichte unterordnet, sowie einer Bildgestaltung (Rudolf Blahacek), die die Handlung stets auf ihren Kern reduziert. Vor allem aber ist es wieder mal ein Genuss, Christoph Waltz bei der Arbeit zuzuschauen.
Ins Rollen gebracht wird der Fall durch einen versuchten Freitod: Im Gefängnis will sich ein Mann das Leben nehmen, der vor neun Jahren für den Mord an einer jungen Frau verurteilt wurde. In seinem Abschiedsbrief beteuert er erneut seine Unschuld. Und weil während seiner Haftzeit in der Nähe des Ortes eine weitere Mädchenleiche gefunden wurde, kommt eine Staatsanwältin ins Grübeln.
Gegenentwurf zum Psychologen ist Kommissar Lorenz, von Hermann Lause als Prototyp des humorlos verkniffenen Norddeutschen gespielt, der mit seiner Leichenbittermiene die Dorfgemeinschaft repräsentiert: Keiner will wahrhaben, dass der wahre Mörder immer noch auf freiem Fuß ist; Lorenz erst recht nicht, als der Kreis der Verdächtigen immer kleiner wird und sich schließlich auf seinen Schwiegersohn (Frank Giering) und dessen Bruder Thomas Schmauser) reduziert.
Für die feindselige Stimmung findet Blahacek die richtigen Bilder, die dem Film erst Recht den Charakter einer Fallstudie verleihen. Dem Holsteiner an sich wird das nicht gefallen: Blahaceks pathologisches Licht betont jeden Tränensack, jeden Bartstoppel; mitunter wirken die Dorfbewohner, als seien sie schon längst tot und hätten es bloß noch nicht gemerkt
2003-Oktober: tittelbach.tv
von Rainer Tittelbach:
Intelligentes Provinz-Kammerspiel voller Ermittlungs-Variationen und psychologischer Irritationen. Der Reiz bei dieser beklemmenden Jagd nach einem Serienmörder besteht nicht so sehr in der Beantwortung der Frage, wer der mörderische Psychopath ist, sondern wie man ihm auf die Spur kommt. Wegweisender Kriminalfilm & erste Zusammenarbeit von Markus Imboden & Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt ("Mörder auf Amrum")Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/fernsehfilm/artikel-725.html
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2003-10-20: Frankfurter Allgemeine Zeitung
von Patrick Bahners:
Handeln im Gesetz der Serie - Ein Dorf in Angst und ein Ermittlerpaar vor der Evidenz des SchicksalsNach einem Drehbuch von Holger-Karsten Schmidt hat Markus Imboden einen in jeder Hinsicht hochkonzentrierten Film gedreht. Die Stimmung des Unheimlichen steigt aus dem Abgrund der Überlegung auf, daß Sicherheit nur noch die Abstraktion, die errechnete Regelmäßigkeit abweichenden Verhaltens verspricht, wenn jedes konkrete sittliche Verhältnis, Freundschaft, Verwandtschaft, Ehe, gelogen sein kann. Bewegend die Gestalt des Polizisten (Hermann Lause), der gegen seinen Schwiegersohn und dessen Bruder nicht ermitteln will, aber seine Töchter schützen muß. Das Zimmer der jüngeren Tochter, mit unschuldig erotischen Postern geschmückt, liegt am Fuß einer steilen Kellertreppe: Schutzraum oder Falle? Wenn Christoph Waltz seine Sätze zerteilt, als wären die Wörter Leichenteile, die er für eine Lagerung im Kühlschrank formatieren müßte, dann bildet diese Zergliederung der Sprache nur scheinbar die Arbeit der Logik ab. Dem zwingenden Schluß ist der unmerkliche Übergang zu eigen, und der Psychologe schneidet sich selbst das Wort ab, um sich übermannen zu lassen von der Evidenz des Schicksals. Die Wissenschaft erklärt die Welt, der Wissenschaftler führt nur Protokoll und weiß auch nicht, warum beispielsweise das Gesetz gilt: Je erniedrigender die Zurichtung der Frau, desto intelligenter der Mann. Was fährt in den Mann, der eine Frau ablegt, um sie zu degradieren? Als der Moment der Wahrheit sich ereignet, wird der Täter schon abgeführt. Das Schreckliche des Augenblicks ist seine Alltäglichkeit, und man ist froh, daß der Film in diesem Moment noch nicht zu Ende ist.