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Kritiken zum Film:

TATORT - Am Ende geht man nackt



2017-03-23: tittelbach.tv

von Rainer Tittelbach
Ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft, bei dem eine Frau aus Kamerun zu Tode kommt, stellt die Kommissare vor eine schwierige Aufgabe: Niemand will etwas gesehen haben. Weil es vielleicht zwei Täter gibt, einen drinnen und einen draußen, ermittelt Voss undercover. Die zwei Perspektiven der Ermittlung sind im dritten frankischen „Tatort – Am Ende geht man nackt“ dramaturgisch clever: Krimi und Drama bilden so ein homogenes Ganzes, bauen große „Spannung“ zwischen Charakteren und Situationen auf, dass man die weniger präsente Krimi-Spannung nicht vermisst. Der Film erinnert an humanistische Grundgedanken, ist bewegend, abwechslungsreich in Struktur & Gestaltung, erzeugt einen souveränen „Flow“ und einen realistischen Gesamteindruck. Trotz getrennter Wege wächst die Verbundenheit zwischen den Kommissaren, und Manzel & Hinrichs sind wunderbar!

Bamberger Brandanschlag: Gibt es zwei Täter – einen draußen, einen drinnen?
Ein Brandanschlag auf eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Bamberg, bei dem eine Frau aus Kamerun zu Tode kommt, stellt Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) vor große Probleme. Anwohner haben nichts gesehen, und die Flüchtlinge sagen nichts, weil sie dadurch die Bewilligung ihrer Asylanträge gefährdet glauben. „Wenn es vom Status abhängt, ob jemand mit einem spricht, dann muss man vielleicht den Status ändern“, theoretisiert Kommissar Voss – und reiht sich wenig später als Erso Maschadow aus Tschetschenien in die Schlange der neuen Asylbewerber ein. Die Undercover-Aktion ist auch deshalb sinnvoll, weil sich die Tote im Vorratsraum der Gemeinschaftsküche, in die der Brandsatz geworfen wurde, aufhielt und der Riegel zu dieser Kammer runtergeklappt war. Hat also vielleicht jemand nachgeholfen? Gibt es zwei Täter, einen draußen, einen drinnen? Voss, der etwas Tschetschenisch spricht und aus dessen Biographie sich eine Legende für seinen Einsatz basteln ließ, gewinnt das Vertrauen eines traumatisierten syrischen Jungen (Mohamed Issa) und macht bald auch Bekanntschaft mit Said (Yasin El Harrouk), dem großen „Organisierer“ in der Unterkunft, der ihm sogar einen Putzjob vermittelt. Bewegung in die Ermittlungen kommt allerdings erst, als ein Anwohner endlich sein Schweigen aufgibt.

Durch die Verdeckte Ermittlung bilden Krimi und Drama eine Einheit
Die zwei Perspektiven, aus denen Autor Holger Karsten Schmidt („Mord in Eberswalde“) die Kommissare im dritten frankischen „Tatort – Am Ende geht man nackt“ ermitteln lässt, sind dramaturgisch klug gewählt, weil so der Krimi und das Drama, der Alltag der Flüchtlinge und deren Schicksale, nahtlos ineinander übergehen. Die persönlichen Tragödien sind gegenwärtig, werden aber nicht überstrapaziert. Dass Voss während seiner Ermittlungsarbeit für den 16jährigen Syrer zunehmend zum Bruderersatz wird (und sogar über eine Adoption des Jungen nachdenkt), erhöht die emotionale Spannung. Und ungefährlich ist sein Einsatz auch nicht. Immer wieder fühlt ihm der Kleinkriminelle Said auf den Zahn, und dann müssen Voss und seine neuen Freunde sich auch noch gegen rechtsradikale Schläger zur Wehr setzen. Für den Kommissar eine Möglichkeit, sich körperlich zu beweisen und kurzzeitig wieder in die Rolle als Polizist zu rutschen. Durch die Konstruktion der Verdeckten Ermittlung erhält der Kommissar in dieser Situation die im Krimi seltene Chance, mit den Fäusten Farbe zu bekennen (nicht nur realen, auch TV-Kommissaren ist ja ein solches Verhalten untersagt) und dem „Ausländerfeind“ kräftig was auf die Nase zu geben. Eine entlastende Aktion auch für den Betrachter. Es ist eine insgesamt vielschichtige Szene, die für den Zuschauer eine eher lustvolle Auflösung erfährt: Nachdem die Streifenpolizisten Voss festnehmen und ihm, dem vermeintlichen Asylbewerber, von einer Anzeige abraten, ist der sonst oft so liebenswürdige Hauptkommissar plötzlich wütend und droht den Kollegen mit einem Disziplinarverfahren.

Humanistische Grundsätze betonen, statt sich in die Realpolitik einklinken
Ähnlich wie „Angst essen Seele auf“, Fassbinder-Filmtitel und zugleich ein Satz aus dem legendären „Ausländerdrama“, zur geflügelten Redewendung wurde, so ist auch der Titel von Markus Imbodens „Tatort“ einem Monolog aus dem Film entnommen. „Am Ende gehen wir so, wie wir gekommen sind: Am Ende geht man nackt – das macht uns doch zu Brüdern.“ Dieser Satz spiegelt die Grundhaltung des Films und verdeutlicht, dass sich die Macher weniger in den realpolitischen Diskurs der Flüchtlingsfrage einklinken, als vielmehr humanistische Grundfragen stellen wollen. Die Geschichte sensibilisiert für Menschenrechte und plädiert für den Reichtum, der durch die Vielfalt und die Kontraste der Kulturen entsteht. Autor Schmidt bemüht sich um eine gewisse „Ausgewogenheit“: Da sind nicht nur heimatlose Menschen in der Flüchtlingsunterkunft gestrandet, die der Empathie des Zuschauers sicher sein können wie der junge Syrer oder der Kinderarzt aus Kuban, dessen Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden („Wir sind sicher hier in Deutschland, es ist gut, hier zu sein“), sondern es gibt eben auch Said, den Mann, der die Hand beißt, die ihn füttert. Mohamed Issa („Wir waren Könige“) und Yasin El Harrouk („Tatort – Der Wüstensohn“), verkörpern ihre Rollen, den traumatisierten, introvertierten Teenager und den extrovertierten Händler im gelobten Land, in Geste & Sprache so authentisch, dass einem die dramaturgische Bild/Gegenbild-Konstruktion beim Sehen des Films keineswegs unangenehm auffällt.

Auch Dagmar Manzels Kommissarin schießt schon mal über das Ziel hinaus Dieser ungestörte „Flow“, der beim Zuschauen entstehen kann, resultiert selbstredend auch aus der dichten, abwechslungsreichen Narration. Schließlich sind hier nicht nur Voss und Ringelhahn doppelperspektivisch unterwegs, auch Goldwasser, Fleischer, Spusi-Mann Schatz und Polizeipräsident Kaiser haben auch noch ihre teilweise originellen Auftritte. Und auch die Verhöre und Befragungen haben es in sich. Ringelhahn hat besonders den Vermieter der Flüchtlingsimmobilie auf dem Kieker. Das Gebäude des Anschlags erweist sich nämlich als einsturzgefährdet. So lässt sie sich hinreißen zu justiziablen Sätzen („Ich bring Sie zur Strecke“) oder einer Unterstellung wie „Der Brand hat Sie reich gemacht“. Auch ist ihre Polemik in einem Verhör mit einem „Deutschnationalen“ nicht gerade zielführend, zumal zumindest ein Punkt an den arbeitslos gewordenen Rechtsradikalen geht, dessen Ängste sich als nicht ganz unberechtigt erweisen („Die arbeiten für weniger; die unterbieten uns“). Clever indes schwindelt sie ihren Chef an. „Manchmal braucht die Wahrheit einen leichten Schubs.“

Trotz getrennter Wege wächst die Verbundenheit zwischen Voss & Ringelhahn Auch wenn (oder gerade weil?) die Hauptkommissare in diesem „Tatort“ getrennte Wege gehen, betont das ihre Verbundenheit umso mehr. Der ausländerfeindliche Fall lässt Paula Ringelhahn etwas strenger und rigider erscheinen als bisher. Vielleicht ist es aber auch nur die Abwesenheit des Kollegen mit seiner so erfrischenden Art. In den drei, vier Zweier-Szenen, die Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs miteinander haben, entsteht bei aller professioneller Distanz ihrer Figuren (die beiden sind im Dienst) eine auffallende Nähe zwischen den Kommissaren, wie man das so von keinem „Tatort“- oder anderen Krimireihen-Duo kennt. Voss kommt von einer Reise aus dem Kaukasus zurück, als die Kollegen bereits mit dem Fall befasst sind. Und der kluge, stets freundliche Voss zaubert sofort ein Strahlen auf das Gesicht der Ringelhahn. Ein anderes Mal umkreisen sie im Gespräch das Thema „unglücklich verliebt“. Ausgangspunkt für den Dialogwechsel ist zwar der Fall, die Unterredung endet aber mit Voss’ Satz „Sag’ mal, wir können doch auch mal was trinken gehen“, nachdem Ringelhahns Sorge um ihren Kollegen mit Sätzen wie „nicht, dass du mir da drin verloren gehst“ oder „pass’ auf dich auf“ vielleicht mehr als nur freundschaftliche Qualität haben.

Die Qualität dieses dritten „Tatorts“ aus Franken hat viele Namen Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs sind zwei überragende Schauspieler, und sie geben mit traumwandlerischer Sicherheit zum dritten Mal ein Ermittlerduo, das auf derselben Wellenlänge liegt: Beide Kommissare sind Menschen, die auch mal aus der Rolle fallen, die ihnen der Beruf vorgibt. Schauspielprofis haben alles und mit jedem zu können. Schaut man sich allerdings die gemeinsamen Szenen der beiden ein zweites Mal an, erkennt man die Präzision im Spiel, aber auch die Lust am Miteinander und – was die Rollen angeht – glaubt man, Hinweise auf einen freundschaftlich-erotischen Subtext im Mienenspiel zu erkennen. Grundlage für derlei Konnotationen ist natürlich auch das Buch von Holger Karsten Schmidt, das solche Zwischentöne ermöglicht. Weitere Namen mit besten künstlerischen Referenzen für die entscheidenden Nuancen sind aber auch Regisseur Markus Imboden, der mit Autor Schmidt eine Reihe wegweisender Krimis fürs ZDF („Mord auf Amrum“) gedreht hat, bevor er sich zum Jahreswechsel 2016/17 mit drei großartigen „Tatorten“ zurückmeldete, Kameramann Jürgen Jürgens („Angst essen Seele auf“), der seit 50 Jahren mit seinem beobachtenden Blick auf Menschen und Dinge Kinogeschichte geschrieben hat, oder auch die Szenenbildnerin Bettina Schmidt, die bereits zweimal („Teufelsbraten“ und „Neue Vahr Süd“) einen Grimme-Preis gewann. Und so ist auch der dritte Franken-„Tatort – Am Ende geht man nackt“ wieder ein hervorragender Film geworden. Einer, der die gewohnte Krimi-Dramaturgie klug aufbricht und so viel „Spannung“ zwischen den Charakteren und Situationen aufbaut, dass man die weniger präsente Krimi-Spannung nicht vermisst.

Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/reihe/artikel-4510.html

2017-04-09: Spiegel Online

von Christian Buß:
Wie schön, wenn man eine Oma in Tschetschenien hat. Allein die Würste, die man von ihr bekommt: Duften nach Hausschlachterei, künden von den Kräutern des Kaukasus. Eingewickelt in Zeitungspapier verteilt Hauptkommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) diese Würste auf den Gängen seines Reviers; gerade ist er aus einem Urlaub in der Heimat seiner Eltern zurückgekommen. Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und die anderen Kollegen schnuppern allesamt selig an den tschetschenischen Fleischwaren, fragen dann aber besorgt: "Ist da Esel drin?"
Wie schön, wenn man eine Oma in Tschetschenien hat. Das dachten sich auch die Verantwortlichen dieses Flüchtlings-"Tatort" und schneiderten dem Kommissar einen ziemlich fadenscheinigen Migrationshintergrund auf den Leib, weil das so gut zur aktuellen Geschichte passt: Auf eine Gemeinschaftsunterkunft in Bamberg wurde ein Brandanschlag verübt, und weil man den frisch aus dem Kaukasus heimgekehrten Voss noch nicht am Tatort gesehen hat, schleust man ihn verdeckt als tschetschenischen Flüchtling ein.
Fortan radebrecht sich der Ermittler mit albernem Akzent durch die Unterkunft und verteilt seine Esel-oder-doch-nicht-Eselwurst an Syrer, Iraker und Marokkaner. Bald ist Voss im Kreis der Flüchtlinge angekommen: Er kümmert sich rührend um den 16-jährigen Basem, der allein nach Deutschland geflohen ist. Er putzt schwarz für 6,50 Euro die Stunde und muss sich dabei von der fränkischen Vorarbeiterin demütigen lassen. Er wird mit seinen neuen Freunden von Rechtsradikalen attackiert und hat ordentlich einzustecken.

Malen nach Zahlen für den Migrationskrimi
Wir würden ja furchtbar gerne mitfühlen mit dem empathischen Undercover-Cop. Aber wie hier die gängigen Motive rund ums Thema Flüchtlingsheim aufgeklaubt, verknüpft und ausgepinselt werden, lässt einen doch sehr unberührt zurück. Malen nach Zahlen für den Migrationskrimi.
Dabei haben die Filmemacher zuvor gezeigt, dass sie anders können: Regisseur Markus Imboden hat zuletzt einen risikofreudigen, sprachverrückten Frankfurter "Tatort" über Migranten und Neue Rechte gedreht, Autor Holger Karsten Schmidt lieferte mit dem Drehbuch zu "Auf kurze Distanz" einen formvollendeten, mitreißenden Undercover-Thriller.
Gerade aber die Szenen im Franken-"Tatort", in denen Voss mit Tschetschenenlegende in die Schattenwirtschaft rund um den Flüchtlingsbetrieb einsteigt, sind von betrüblicher Einfalt. Immer wenn es brenzlig wird, zaubert er seinen Dienstausweis aus dem Schuh, und schon ist wieder alles paletti. Nie war ein Undercoverjob ungefährlicher.
Als der Ermittler etwa beim Putzen in einem verdächtigen Betrieb rumschnüffelt und dabei von einer Mitarbeiterin entdeckt wird, holt er sofort seine Pappe raus und mahnt: "Mordkommission Franken. Voss. Wissen Sie, welche Strafe auf einen Geheimnisverrat zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland steht? Ich bin Teil einer verdeckten Ermittlung, sie sind zum Stillschweigen verpflichtet, verstoßen Sie dagegen - Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren! Alles klar?"
Alles klar, Herr Kommissar. Besonders schade ist dieser brachial der Lösung zustrebende "Tatort", weil Manzel und Hinrichs als Ringelhahn und Voss vor zwei Jahren besonders behutsam eingeführt worden sind. Wer auf eine sanfte, aber fundierte Ausgestaltung der Ermittlerbiografien hoffte, bekommt's nun hart und dumpf. Man schleift und würgt sich die Figuren zurecht, bis sie irgendwie in die konstruierte Handlung passen. Ein weiterer Beleg dafür, wie lieblos die ARD-Redaktionen zum Teil mit den von ihnen betreuten Figuren verfahren.
In Anbetracht dieses Würstchen-undercover-"Tatort" fragt man sich schon, wofür die Redakteure des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eigentlich bezahlt werden. Alle reden über das horizontale Erzählen in US-Serienvorbildern, aber von den Verantwortlichen ist niemand bereit, weiter als bis zur allernächsten Produktion zu denken.
Gut möglich, dass der Tschetschenenhintergrund bei Ermittler Voss für eine andere nützliche Backstory schnell auf dem Müll der "Tatort"-Geschichte landet.

2017-04-09: Frankfurter Neue Presse

von Ulrich Feld:
Ein Brandsatz fliegt durch das Fenster einer Flüchtlingsunterkunft in Bamberg und kostet die junge Neyla Mafany (Dayan Kodua) aus Kamerun das Leben. Ein anderer Heimbewohner landet mit schweren Verbrennungen Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Menzel) und ihre Kollegen st0ßen auf eine regelrechte Mauer des Schweigens. Kein Nachbar will etwas gesehen haben. Da fasst ihr Kollege Felix Voss (Fabian Hinrichs) einen wagemutigen Plan: Er lässt sich ins Flüchtlingsheim einschleusen, als vermeintlicher tschetschenischer Flüchtling.
Es ist eine fremde Welt, in die er eintaucht und deren Regeln er am eigenen Leib erlebt. Dazu gehört auch, dass es Bereiche gibt, in denen Juden und Christen unerwünscht sind. Eine Welt außerdem, in der einige Leute mit den Flüchtlinge glänzende Geschäfte machen, so Leiharbeitsfirmen und der überaus durchtriebene Said Gashi. Gespielt wird der, ein großer Pluspunkt für den Film, von Yasin el Harrouk, bekannt als Titelfigur des Müncher "Tatort"-Krimis "Der Wüstensohn".

Heiße Themen am Sonntagabend
Voss knüpft Kontakte, vor allem zu dem jungen Flüchtling Bassem Hemidi, gespielt vonMohamed Issa, dem Flüchtling Jamal Bakkoush aus der Lindenstraße. Er erlebt, wie Flüchtlinge von Rechtsextremisten bedroht werden. Währenddessen eht seine Kollegin draußen weiteren Spuren nach und trifft dabei unter anderem auf den überaus kostenbewussten Vermieter der Immobilie. Mit Flüchtlingen und Fremdenfeindlichkeit hat sich der dritte Frankentatort ein heißes Eisen vorgenommen.
Und verzichtet dabei weitgehend auf jeden Ansatz von Klischees: Er thematisiert auch ausführlich Bösartigkeiten und Ausbeutung unter den Flüchtlingen selbst, wobei einige Charakterportraits durchaus überzeugen können. Leider gilt das aber nicht für den Rest des Films: Als Krimi ist der Beitrag aus Franken ein kompletter Fehlschlag. Was bei einem versierten Autor wie Holger Karsten Schmidt besonders enttäuscht.

Als Krimi ein Fehlschlag
So spielen kriminologische Elemente wie Verhöre und Spurensuche kaum eine Rolle. Der gierige Vermieter als möglicher Drahtzieher taucht zwar schon früh in der Handlung auf, bekommt aber kaum Präsenz und erst Recht keine Tiefe. Wenn die Fahnder auf eine wesentliche Spur stoßen, dann durch Zufall oder einen diskreten Hinweis, der ebenfalls nur auf einem Zufall beruht. Noch ärgerlicher: Kommissarin Ringelhahn verhält sich höchst unprofessionell, ähnlich wie Thorsten Lannert im Stuttgarter Beitrag "Im gelobten Land", was schon diesen "Tatort" zum Ärgernis machte.
Dass der durchtriebene Said am Ende zum Einbruch übergeht, ist auch nicht die beste Idee. Regisseur Markus Imboden, der nach "Wendehammer", "Klingelingeling" und "Land in dieser Zeit" mit diesem Film schon den vierten (!) Krimi dieser "Tatort"-Saison vorlegt, erzählt immerhin recht flüssig und weiß besonders die Stimmung im Innern einer Flüchtlingsunterkunft recht beklemmend zu inszenieren. Bei "Klingelingeling" hat er aber bewiesen, was er aus einem wirklich guten Drehbuch herausholen kann, und daran reicht der dritte Franken-"Tatort" in keiner Sekunde heran. Imbodens Schuld ist es nicht.

2017-04-10: t-online.de

von Verena Maria Dittrich
Der dritte Franken-"Tatort" wagt sich erneut an die Flüchtlingsthematik. Klingt abgedroschen, ist es aber nicht. Die Handlung überzeugt und setzt da an, wo es wehtut.

Nach Sibel Kekillis Abschied: Diese junge Dame ist die Neue im Kieler "Tatort" Neyla Mafany (Dayan Kodua) kommt bei einem Brandsatzanschlag in einer Bamberger Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge ums Leben. Die junge Frau aus Kamerun erstickt qualvoll. War es Mord? Gab es mehrere Täter? War es Fremdenfeindlichkeit? Hass unter den Bewohnern?
Das noch junge Team um Hauptkommissarin Ringelhahn (Dagmar Manzel) nimmt die Ermittlungen auf. Schnell führen die Spuren zum schmierigen Immobilienbesitzer Sascha Benedikt (Hans Brückner), der Kontakte in politische Kreise hat. Aber auch in der Flüchtlingsunterkunft ist nichts, wie es scheint. Ringelhahns Kollege, Voss (Fabian Hinrichs), der gerade von einem Besuch seiner Großmutter aus Tschetschenien zurückkehrt, taucht undercover in den Flüchtlingsalltag ein. Die Begegnung mit dem 16-jährigen Syrer Basem (Mohamed Issa), lässt ihn erkennen, dass er nicht länger wegsehen darf.

Ausgegrenzte grenzen andere aus
Was wie das standardisierte Muster eines Flüchtlings-Krimis daherkommt, entpuppt sich zu einem vielschichtigen Drama. "Am Ende geht man nackt" nähert sich den Charakteren von allen Seiten und legt den Graben, der unsere Gesellschaft durchzieht, schonungslos offen.
Fremde aus vielen Nationen, die sich untereinander kaum verstehen, auf engstem Raum zusammengepfercht, in einem Land, das sie nicht will und Einheimische, die mit verkrusteten medial-geschürten Vorurteilen kämpfen, treffen voller Argwohn aufeinander. Bekommt man eine Wurst aus dem Kaukasus geschenkt, kann es nur eine Frage geben: "Ist da Esel drin?"
Polizisten schlagen sich lieber auf die Seite von blonden Schlägern, statt dem dunkelhaarigen Opfer beizustehen, das mit verstörtem Blick die Welt nicht mehr versteht. So kann ein Asylsuchender, der, obwohl er alle Kriterien erfüllt, auch schon mal fünf Jahre auf einer Warteliste stehen, weil die Akte in der zuständigen Behörde irgendwie abhandengekommen ist. Geflüchtete heißen einander willkommen mit Sätzen wie: "Ey, wir wollen keine Juden oder Christen hier". Ausgegrenzte grenzen andere aus. Das Leben steht Kopf.

Das macht uns doch zu Brüdern
Regisseur Markus Imboden und Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt haben es sich nicht leicht gemacht. "Am Ende geht man nackt" ist vollgepackt mit einfühlsamen Szenen verzweifelter Menschen, die versuchen, die gesamte Bandbreite der "Flüchtlingskrise" zu beleuchten. Eine schwierige, kaum zu bewältigende Aufgabe. So gelingt es den Machern bei einer Spieldauer von 88 Minuten nicht, alle gängigen Klischees zu umschiffen. Da ist zum einen Said Gashi (Yasin El Harrouk), ein junger Araber, der in der Flüchtlingsunterkunft das Sagen hat. Wer ein neues Handy oder einen illegalen Job braucht: Said hat die "Connection". Selbstredend sind für Said Frauen "Huren", aber nur die, bei denen er abblitzt. Und dann ist da auch noch Benjamin Funk (Frederik Bott) - ein typisches Abziehbild eines deutschen Rechten, der per se alle Ausländer hasst, weil sie ihm die Arbeit wegnehmen.

Die gesellschaftliche Wunde
Aber es sind jene Momente, in denen Kommissar Voss auf seine vermeintlichen Flüchtlingsbrüder trifft, mit ihnen spricht, spielt und lacht, die die Macher mit Bravour eingefangen haben. Wenn etwa der syrische Kinderarzt Mohamed Amir (David Ali Hamade), der in Deutschland als Putzkraft arbeitet, seine Familie nur nachholen darf, wenn er ein Monatseinkommen von 10.000 Euro nachweisen kann, ist das eine Realität, die so schmerzlich wie unglaublich ist.
So stellt Amir fest: "Am Ende geht man nackt. Das macht uns doch zu Brüdern?" Ist das so? Diese Frage bleibt hängen. Es ist wie im wahren Leben. Der Brandsatzwerfer wird ermittelt, doch seine Auftraggeber sind nicht dingfest zu machen.
Unterkühlt und gereizt drückt Kommissarin Ringelhahn den Finger in die gesellschaftliche Wunde: ein baufälliges Gebäude, Versicherungsbetrug auf Kosten der Schwachen und auf Kosten von Menschenleben. Konsequenzen gibt es keine.
Beamte und Bürokratie sind überfordert. Lösungen existieren nur im Ansatz. Der 16-jährige Syrer Basem gerät in diesem System in die Gewaltspirale. Sein erster Einbruch endet für ihn tödlich. Ein pflichtbewusster Deutscher schießt ihm in den Rücken. Klischee? Ja. Realität? Leider auch ja. Am Ende gibt es ein Opfer mehr, die Schuld daran liegt bei allen.

2017-04: TVspielfilm.de

Bewertung der Redaktion
Krimi mit Haltung, ganz auf Höhe der Zeit

Brandanschlag auf eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Bamberg: Die junge Neyla aus Kamerun stirbt, eingeschlossen im Nebenraum der Küche, an einer Rauchvergiftung. Wurde die Frau in eine Falle gelockt? Um das herauszukriegen, gibt sich Felix Voss (Fabian Hinrichs), der Verwandte im Kaukasus hat, als Asylsuchender aus Tschetschenien aus. Während der Hauptkommissar sich für 6,50 Euro die Stunde einer illegalen Putzkolonne anschließt und das Vertrauen des syrischen Neuankömmlings Basem (Mohamed Issa) gewinnt, fühlt Kollegin Ringelhahn (Dagmar Manzel) dem Immobilienbesitzer Benedikt auf den Zahn… Regisseur Imboden („Tatort: Land in dieser Zeit“) erzählt spannend und zeigt einmal mehr Haltung gegen rechtes Gedankengut.

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